Schimpfwörter: Die verdammte Wahrheit übers Fluchen

2023 war ein Scheißjahr. 2024 könnte die Kacke richtig dampfen. Wie? Das darf man hier nicht sagen? Experimente zeigen, dass Fluchen Menschen in bestimmten Situationen stärker macht. Dennoch warnen wir vor diesem extrem anstößigen Artikel.
Aus reiner Höflichkeit.

Ein Beitrag von Hannes Stein

Stellen wir uns vor, der deutsche Bundespräsident (Sparkassendirektorenbrille, glatte weiße SPD-Frisur) würde zum Jahresausklang die folgende Rede halten:

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! 2023 war ein Scheißjahr; wie gut, dass wir es bald hinter uns haben. Dieser Fickfehler Putin ist immer noch am Leben. Die Kackbratzen von der Hamas leider auch. Wenn die Gurkentruppe, die unser Land regiert, so klein wäre, wie sie blöd ist, bräuchte sie eine Leiter, um den Bordstein hochzuklettern. Dummerweise könnte 2024 noch beschissener werden, wenn die gehirnverbrannten Amis den faschistischen Kotzbrocken Trump wiederwählen. Dann sind wir gefickt. Schönes Silvester allerseits!“

Am nächsten Tag wären die Zeitungen voll davon, das Fernsehen würde eine Sondersendung ausstrahlen. Deutschland hätte Gesprächsstoff für Monate. Würde aber jemand in geselliger Runde exakt dieselbe Rede halten, sagen wir, nach der dritten Flasche Sekt, hätte dies keine Folgen. In diesem besonderen Fall scheint zu gelten: Quod licet bovi, non licet lovi – zu deutsch: Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt. Oder: Je höher die gesellschaftliche Stellung, je repräsentativer das Amt, desto größer der Skandal, wenn jemand flucht und dabei schmutzige Wörter verwendet.

„The fucking fucker’s fucking fucked“

Warum ist das so? Und was sind überhaupt schmutzige Wörter? Darüber hat die britische Philosophin Rebecca Roache in einem tiefsinnigen Buch nachgedacht „For Fuck’s Sake“ (Oxford University Press). Untertitel: „Why Swearing is Shocking, Rude & Fun“ – warum Fluchen schockiert, unhöflich ist und Spaß macht.

Allerdings ist es schwer, auf Deutsch über dieses Buch zu schreiben. Unsere Muttersprache stellt kaum bunte Fläche zur Verfügung, eigentlich kennt die deutsche Fluchpalette nur einen Farbton: braun. So eine gottverdammte, verfluchte, vermaledeite …! Die katholischen Bayern haben das eine oder ande „Kruzifix“ (bzw. „Zefixhalleluja!“) beizusteuern, dann kann man den geschatzten Gesprächspartner noch zur schönen Sexualpraxis des Anilingus auffordern; das war es im Grunde schon.

Aber was ist eigentlich ein Fluch? Was macht ein Wort zu einem schmutzigen, zu einem Schimpfwort? Es gewinnt seine Kraft daraus, dass – mit der Gewalt eines Bullen, der einen elektrischen Zaun durchbricht – ein Tabu umgerissen wird; und natürlich lässt es tief blicken, dass nur die Deutschen eher anal schimpfen, während andere Völker beim Fluchen vorrangig den Geschlechtsverkehr beschwören.

In Mittelmeerländern und im slawischen Kulturraum spielen außerdem Mütter eine herausragende Rolle: „Kuss-ha-emek“ sagen die Araber (und die Israelis), „job twaju mat“ die Russen („Fotze der Mama“ und „Fick deine Mama“, respektive). Religion war früher sehr wichtig; heute, wo man Blasphemie an jeder Straßenecke in dampfenden Portionen serviert bekommt, hat die schockierende Kraft des religiösen Fluchs sehr nachgelassen.

Allerdings reicht der Tabubruch allein keineswegs aus. Rebecca Roache liefert sogar eine mathematische Formel, mit der sich berechnen lässt, ob ein Fluch vorliegt „Fluchen = Anstößigkeit + Emotion + linguistische Anarchie“. Ein Fluchvulkan bricht also erst dann aus, wenn nicht nur die Magma fließ, sondern auch die heißen Lavabrocken fliegen; und ihre Flugbahnen lassen sich nach den Regeln der herkömmlichen Grammatik kaum berechnen.

„Fuck it“ soll ein Automechaniker bei der britischen Armee gesagt haben als ihm der Lastwagen unter der Hand verreckte. „The fucking fucker’s fucking fucked“. Hier werfen wir als Übersetzer die Hände in die Höhe und kapitulieren. Nur soviel: Das Wort „fuck“ dient in diesem Satz als Imperativ, Adjektiv, Substantiv, Adverb und Verb – und so etwas geht eigentlich nur, wenn man flucht. Unser Beispielsatz zeigt nebenbei einen weiteren Grund, warum deutsch keine gute Fluchsprache ist: Zu wenig einsilbige Wörter. Schei-ße, Fot-ze, Kak-ke. Man vergleiche das mit dem englischen cunt! In Amerika kann man damit nur Frauen beleidigen, in Großbritannien wird das Wort auch Männern ins Gesicht geschleudert; „Wichser“ müsste man auf Deutsch sagen, schon wieder sind es zwei Silben. Dann fehlt die Härte und Schärfe des Klangs: „Wichser“ hat zwar den schönen, bösen, zischenden Laut in der Wortmitte, aber danach fällt die Sache rein lautmalerisch steil ab. Englische Flüche dagegen klingen, als würde jemand einen Kiesel mit Karacho gegen eine Blechwand schleudern: Fuck! Shit! Prick!

Fluchen ist nicht nur nützlich, es ist sogar notwendig

Wir sind heute relativ tolerant gegenüber Fluchwörtern; sogar familienfreundliche Zeitungen wie die WELT druckt diesen Text ohne Feigenblätter und Sternchen. Intolerant sind wir aber gegenüber Beleidigungen für ethnische Gruppen geworden: Der „Kanake“ lässt sich gerade noch in Gansefüßchen zitieren. das N-Wort (wir meinen die hässliche amerikanische Variante) ist eigentlich unaussprechbar geworden. Und natürlich haben wir es da mit einem historischen Fortschritt zu tun: Vor hundert Jahren mussten die „Kanaken“ dulden, so genannt zu werden, heute müssen sie die Demütigung nicht mehr achselzuckend über sich ergehen lassen – sie haben Macht gewonnen.

Mit Machtverhältnissen hat auch zu tun, dass ethnische Schimpfwörter für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft stets als weniger schlimm gelten: Die deutschen „Kartoffeln“ machen die Regeln und haben das Sagen, ergo sollen sie kein schiefes Maul ziehen und sich nicht so haben. Immerhin werden sie nicht als „Piefkes“ tituliert.

Klarmachen sollte man sich jedenfalls, dass man privilegiert ist, wenn die eigenen Flüche auch wirklich als Kränkung wahrgenommen werden. Ein kleines Kind, das flucht, gilt nicht als beleidigend, sondern als süß; offenbar versteht es die Bedeutung der schlimmen Wörter gar nicht, die es aufgeschnappt hat. Ein fluchender Rollstuhlfahrer, der sich seinen Weg durch die Menge zu bahnen versucht, wird nicht für voll genommen; dasselbe Problem haben Menschen (vor allem Männer), wenn sie klein sind. Der Fluch ist die verbale Kompensation einer Macht, nämlich der Macht zum Zuschlagen. Jemand, der über diese Macht scheinbar nicht verfügt, hat seine Schwierigkeiten damit, effektiv zu fluchen.

Kein Wort verliert Rebecca Roaches leider über die deutsche Besonderheit, dass Beleidigungen im Lande Goetz von Berlichingens justiziabel sind. Vom Recht auf Meinungsfreiheit ausgenommen sind in der angelsächsischen Welt nur „fighting words“, also Wörter, durch die jemand in einer Kneipe zum
Zuschlagen verleitet werden soll.

Dies führt uns schnurstracks zu der Frage, ob Fluchen nützlich oder schadlich ist. Hier hilft uns die Wissenschaft weiter. Experimente haben gezeigt: Wenn Leute eine Hand in Eiswasser tauchen, was nach kurzer Zeit schmerzhaft wird, so halten sie länger durch, wenn sie dabei gotteslästerlich fluchen. Wer stumm leidet, gibt schnell auf, und es hilft wenig, erfundene Fluchwörter („Fautsch! Twitzpaip!“) zu brüllen, es müssen schon die echten sein.

Fluchen ist also nicht nur nützlich, es ist sogar notwendig. Irgendwann in grauer Vorzeit hat ein Mensch beim Anblick des ersten Säbelzahntigers laut „Scheiße!“ geschrien. Hätte es diesen Urahnen nicht gegeben, würde heute, so ist stark zu vermuten, auf der Stelle der Straßenverkehr zusammenbrechen.

Ein Beitrag aus der Rubrik Kultur der Welt online

Hannes Stein, geboren 1965 in München, seit 2012 amerikanischer Staatsbürger. Kulturkorrespondent der „Welt“ und „Welt am Sonntag“ in New York